Strammer Max
Nun ist der dreißigste offizielle Tag der Ausgehbeschränkung in Wien. Ich schreibe Rezept Nr. 61. Samstag ruft mich ein guter Freund, Mitglied der Risikogruppe, an und fragt, ob ich ihm am Dienstag etwas besorgen könnte. Er hat etwas in einem kleinen Geschäft bestellt und die stellen nicht zu.
Ich suche meinen Kalender. Befreie ihn von unzähligen Spinnweben, schlage Dienstag, 14.04.2020 auf. Als sich die Staubwolke gelegt hat, mein Hustenanfall vorbei war, sehe ich alle geplanten Termine durchgestrichen. Also hätte ich Zeit. Glück gehabt, lieber Freund.
Gestern, ich, nach achtundzwanzig Tagen, wieder mal in die Freiheit. Ich betrete mit meiner Maske, die uns eine ganz liebe Kundin genäht und geschickt hat, die Straße. Wow, wie die frische Luft schmeckt, die sich hinter dem Stofffetzen in mein Gesicht schiebt. Ab zur Straßenbahn und schon stehe ich vor dem kleinen Geschäft. An der Tür ein Corona-Roman in Fusselschrift, nach 10 Minuten lesen, erfahre ich, dass jetzt 2 Personen gleichzeitig eintreten können. Ich öffne die Tür und schaue in das Kellerlokal. Der Chef bedient gerade einen Kunden. Ich schreie rein: "Ist es frei?", denn man kann von meinem Platz nicht das ganze Geschäft überblicken. Der Chef brüllt durch seinen blauen Fetzen im Gesicht aus rund 20 Meter Entfernung was entgehen. Nichts verstanden. Nochmals von vorne. Gut, er winkt mich dann rein.
Mit meinem Einkauf bewappnet trete ich wieder auf die Straße, schaue mich wie ein Verbrecher in alle Richtungen um, und reiße meine Maske vom Gesicht. Luft schnappen! Luft schnappen! Luft schnappen! Glück gehabt, nicht blau angelaufen. Da kommt jemand. Mensch, Maske wieder drauf und ab zum Linienbus um zu liefern.
Wir stehen vor seinem Haustor auf rund 1 1/2 Meter Entfernung. Persönlich haben wir uns lange nicht gesehen. Telefonieren und schreiben tun wir täglich. Wir schreien uns durch unsere Masken an, tauschen Neuigkeiten aus. Irgendwie habe ich nur verstanden: "Danke, uns geht es...", brrrumm, Linienbus zog vorbei. "Ja, unser Sohn...", quietsch, Auto hätte den Rechtsvorrang übersehen. "Von meiner Bekannten soll ich ...", drööhnn, Moped fährt vorbei. Ok, wir haben uns dann per Handzeichen verständigt, dass wir uns, sobald ich zu Hause bin, anrufen. Schon super so Stofffetzen im Gesicht. Ich war richtig froh, als ich wieder zu Hause war. Jetzt bleibe ich wieder länger da.
Heute in Renates Krisenkochbuch:
Strammer Max
Ich nehme von meinen Vorräten:
- Brot
- Schinken (hatte noch aufgeschnittenen Osterschinken)
- Käse
- Eier
- Paradeiser
- Paprika
- Schnittlauch
- Salz, Pfeffer
- Zwiebel
Eine Scheibe Brot entweder mit Butter bestreichen oder anrösten. Mit Schinken belegen. Darauf eine Scheibe Käse. Darüber Paprika, Paradeiser und Zwiebel. Abgeschlossen wird alles mit einem Spiegelei. Mit Schnittlauch garnieren. Fertig.
Alternativ:
Was schmeckt oder was der Kühlschrank bietet.
Er wird auch oft mit Gewürzgurken, Leberkäse, Röstzwiebeln, Salami, gebratenen Schinken belegt.
Strammer Max ist ein einfaches Gericht aus Mischbrot, Schinken und Spiegelei. Ursprünglich zur sächsischen und Berliner Küche gehörend, ist Strammer Max heute in ganz Deutschland als Hausmannskost und Kneipenessen verbreitet.
Der Ausdruck Strammer Max wurde um 1920 im Sächsischen mit der Bedeutung "erigierter Penis" gebildet und anschließend auf das Gericht übertragen, wohl weil es ein besonders "kräftigendes" belegtes Brot ist.
Mahlzeit. Bleibt gesund!
Wien, 15.04.2020